„Ihr da oben – wir da unten?“ Pints & Politics am 3. Juni 08

Veröffentlicht am 09.06.2008 in Ortsverein

Die soziale Kluft zwischen Arm und Reich in Deutschland wird größer. Warum das so ist und was wir dagegen tun können, haben wir bei unserem Stammtisch am 3. Juni 2008 diskutiert.

Die Mittelschicht in Deutschland wird immer kleiner. Das hat eine neue Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) ergeben. Im Jahr 2000 gehörten 62 % aller Personen zur Mittelschicht, 2006 waren es nur noch 54 %. Das sind fünf Millionen Menschen weniger. Zur Mittelschicht werden Personen gezählt, deren Einkommen zwischen 70 und 150 % des mittleren Einkommens liegt. Entsprechend angestiegen ist der Anteil der Bevölkerung an beiden Enden der Einkommensskala. Aber: Die Einkommen der oberen Hälfte sind schneller gewachsen als die der unteren Hälfte. Und die Zahl der armutsgefährdeten Menschen hat zwischen 2000 und 2006 besonders zugenommen. Rund ein Viertel der Bevölkerung verdient inzwischen weniger als 70 % des mittleren Nettoeinkommens, das bei gut 16.000 Euro pro Jahr für ein erwachsenes Haushaltsmitglied liegt. Das Risiko, aus der Mittelschicht in die Armut abzurutschen, ist zwischen 2002 und 2006 gestiegen und deutlich größer als die Chance, in die Gruppe mit hohem Einkommen aufzusteigen.

Neu ist in Deutschland eine weitere Entwicklung: Wirtschaftswachstum ohne Einkommenszuwachs. Der Aufschwung der letzten drei Jahre führte zwar zu einem Rückgang der Arbeitslosenzahl um mehr als 700.000. Die Nettolöhne aller Arbeitnehmer sanken aber seit 2004 um 1,5 %. Das hat verschiedene Gründe: So ist seit dem Jahr 2000 der Anteil der Vollzeitbeschäftigten von 64 % auf heute etwa 55 % gesunken. Der Anteil von Niedriglohnempfängern ist in den zehn Jahren bis 2006 von 15,5 % auf 22,2 % gestiegen. 6,5 Millionen Menschen arbeiten heute in Deutschland für Niedriglohn, fast jeder Dritte für weniger als fünf Euro die Stunde. Zugenommen hat zudem die Zahl der prekären Arbeitsplätze mit befristeten Verträgen, als Minijobber und als Leiharbeiter. Es gibt heute 630.000 Zeitarbeiter, mehr als viermal so viel wie vor zehn Jahren. Das signalisiert den regulär Beschäftigten, dass der eigene Arbeitsplatz nicht mehr so sicher ist wie früher. Gleichzeitig nahmen seit 2004 die Unternehmensgewinne um 25 % zu.

Nach dem neuen Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung gelten 13 % der Bundesbürger als arm; weitere 13 % werden nur durch Sozialleistungen vor dem Abrutschen in die Armut bewahrt. Als arm wird danach angesehen, wer als Alleinlebender weniger als 60 % des mittleren Einkommens verdient, also 781 Euro netto. Dass Armut mitten in der Gesellschaft angekommen ist – auch in einer vergleichsweise wohlhabenden Stadt wie Karlsruhe –, wurde auf der letzten SPD-Kreisdelegiertenkonferenz deutlich. Dazu zwei Beispiele: Von den 43.000 Kindern in Karlsruhe leben 5.500 von Sozialhilfe. Trotz des positiven wirtschaftlichen Umfelds gibt es auch in Karlsruhe Fälle von Niedriglöhnen, mit denen ausgebildete Arbeitskräfte ihre Familien nicht ernähren können.

Die Frage, wie die Ausweitung der sozialen Kluft und die Tendenz zu mehr Armut gestoppt werden kann, stand im Mittelpunkt des politischen Stammtischs. Wichtiger Ansatz ist zunächst die Einführung eines Mindestlohns, der sich ja bereits in vielen anderen westlichen Industrieländern bewährt hat. Vermögens- und Erbschaftssteuer sollten zudem so ausgestaltet werden, dass die die größeren Vermögen und Erbschaften tatsächlich einen nennenswerten Beitrag leisten. Eine Senkung der Sozialversicherungskosten würde gerade Geringverdienern zu mehr Nettoeinkommen verhelfen, damit die Konjunktur stützen und gleichzeitig Arbeitsplätze attraktiver machen. Gerade geringer Qualifizierten würde der Einstieg in den Arbeitsmarkt erleichtert. Flankierend sind strukturelle Veränderungen in der Sozialversicherung notwendig – insbesondere die Einführung der Bürgerversicherung, die Beamte, Selbständige sowie Besserverdienende in die gesetzliche Krankenversicherung einbezieht(Anm. des Setzers: Wichtig ist die Einbeziehung aller erwirtschafteten Profite in die Finanzierung der Sozialversicherungskosten )und damit (auch) die Risiko- und Kostenstruktur verbessert. Im Gesundheitswesen müssen zudem weitere Potenziale zur Kostensenkung wie z.B. die Einführung von Positivlisten für Medikamente realisiert werden. (Weitere Anmerkung von Klaus Lustig: Nur durch „Auftanken“ der Kolosse GKK – Kassenärztliche Vereinigung – Klinikbetreiber durch erhöhtes Beitragsaufkommen wird wohl kaum mehr Effizienz entstehen, eher das Gegenteil. Als ersten Schritt halte ich eine „Positivliste bei Medikamenten“, mit Kostenvorgabe, die Abschaffung der Kassenärztlichen Vereinigung so wie das Herausnehmen nicht Krankenversicherungspflichtigeger Leistungen wie z.B. Extremsportrisikokosten aber auch Geburtskosten u. v. m. für einen ersten sinnvollen Schritt).

Demgegenüber sind weitere Steuersenkungen gerade für die Bezieher von niedrigen Einkommen wenig attraktiv. Unter der rot-grünen Regierung wurde die Steuerlast bereits um 60 Milliarden Euro gesenkt. Die Hälfte aller Haushalte zahlt inzwischen überhaupt keine Steuern mehr. In langfristiger Hinsicht viel entscheidender sind der Umbau und die Verbesserung unseres Bildungssystems. Dazu gehört ein breites Angebot an Ganztagesschulen mit überzeugenden Konzepten und guter Ausstattung (die nicht in der Hauptsache auf ehrenamtliche Kräfte setzt). Der verpflichtende Besuch von Vorschulen kann dazu beitragen, frühzeitige Bildungsdefizite und damit soziale Benachteiligungen zu vermeiden. Bei der Frage fairer und gerechter Verhältnisse geht es letztlich auch um die Gestaltung und die Ethik unseres Wirtschaftssystems. Diese Diskussion muss noch intensiv geführt werden. Nicht unterschätzt werden sollte zudem die Mentalität, die Einstellung, mit der wir auf Veränderungen reagieren. Da wäre in Deutschland durchaus ein Stück mehr Dynamik, Optimismus und Selbstbewusstsein angebracht.

 
 

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